Seit der Einführung des neuen Gesetzes im März zur Abgabe von Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken ist etwa ein halbes Jahr vergangen. In den Medien wurde das Gesetz als wichtiger Schritt nach vorne gelobt, doch wie sieht es heute in der Praxis aus?
Wenn man einen Arzt gefunden hat, der bereit ist, sich den Papierkrieg anzutun und die Fragebögen der Krankenkassen auszufüllen, hat man schon sehr viel Glück. Die bürokratischen Hürden, um Cannabis zu verschreiben, werden für die Ärzte äußerst hoch angesetzt. Der Arzt kann die Dose „Bedrocan“ nämlich nicht einfach auf einem Kassenrezept verschreiben, ohne vorherige Zusage der Kostenübernahme seitens der Krankenkasse. Außerdem riskieren die Ärzte Regressforderungen der Krankenkassen, wenn sie Cannabisblüten verschreiben und ihr Budget überziehen, was schnell passieren kann bei den horrenden Preisen, die sich seit Einführung des neuen Gesetzes entwickelt haben.
Die sprichwörtlichen Apothekenpreise
Bis März 2017 konnten Patienten mit einer Ausnahmegenehmigung ihre Cannabisblüten für 12 €–15 € pro Gramm aus der Apotheke beziehen. Für eine 5-g-Dose Bedrocan musste man also etwa 70 € liegen lassen.
Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes werden die importierten Cannabisblüten nicht mehr als Fertigarznei, sondern als Rezeptursubstanz angesehen, weswegen sie erst weiterverarbeitet werden müssen, um abgegeben werden zu dürfen. Durch diese „Weiterverarbeitung“ steigt der Preis gewaltig. Geht man heute mit einem Privatrezept in die Apotheke, bekommt man eine 5-g-Dose Bedrocan für 100–125 €.
Als Patient mit Kostenübernahme der Krankenkasse strapaziert das zwar nicht den eigenen Geldbeutel, aber dieser absurd hohe Preis ist ein weiterer Grund dafür, warum Ärzte Cannabis allgemein nur sehr ungern verschreiben. Als Arzt hat man pro Patient vielleicht 50 € pro Quartal für Medikamente zur Verfügung. Wenn ein Patient pro Monat 10 g für 250 € bekommt, hat der Arzt sein Budget ja bereits um ein Vielfaches überzogen. Deswegen haben Ärzte Angst vor Regressforderungen durch Krankenkassen.
Das Eigenanbauverhinderungsgesetz
Ein offenes Geheimnis ist, dass die medizinische Freigabe von Cannabisblüten nur zur Verhinderung des Eigenanbaus so zügig durchgewunken wurde. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte zugunsten eines MS-Patienten und erlaubte diesem den Anbau von Cannabis bei sich zu Hause, da dieser keine Möglichkeit hatte, Cannabisblüten legal aus der Apotheke zu beziehen. Damit dies nicht zum Präzedenzfall werden würde, reagierte die Bundesregierung mit dem neuen Gesetz. Demnach darf der besagte Patient trotzdem nicht zu Hause seine eigenen Pflanzen ziehen, denn jetzt gibt es ja (theoretisch) Cannabisblüten auf Kassenkosten ganz legal aus der Apotheke.
Seit Anfang Juli häufen sich die Meldungen von betroffenen Patienten: Cannabisblüten sind zurzeit in deutschen Apotheken nicht lieferbar. Das Problem sei die „unerwartet starke Nachfrage“. Anfang bis Mitte Herbst soll die Medizin wieder lieferbar sein. Und was mache ich als Patient bis dahin? Hätte man sich den Verbrauch von Patienten in Ländern wie Israel oder Kanada zum Vorbild genommen und auf die deutsche Bevölkerung hochgerechnet, hätte man sehr wohl mit der starken Nachfrage rechnen können. Dazu hätte man sich aber konstruktiv Gedanken machen müssen, was jedoch bei dem „Eigenanbauverhinderungsgesetz“ offensichtlich nicht geschah.
Denn auch viele Patienten, die früher eine Ausnahmegenehmigung hatten und für 70 € eine Dose Cannabisblüten einkaufen konnten, schauen jetzt in die Röhre. Ihnen wurde versprochen, dass jetzt alles besser und ihre Behandlung ab jetzt von der Kasse bezahlt würde. Tatsächlich lehnen die Krankenkassen genauso auch die Kostenübernahmeanträge der „Ausnahmegenehmigungsinhaber“ ab. Die Regierung sollte hier dringend nachbessern, damit das Gesetz tatsächlich den Patienten nutzt und nicht nur den Apothekern und der Regierung. Denn Cannabis zum Verdampfen in einem Vaporizer gibt es nach wie vor an jeder Ecke, derzeit nur nicht in den Apotheken. Die Anwendung von Cannabis als Arznei muss im legalen Rahmen möglich sein.